Bestandsschutz oder einklagen?

Infoveranstaltung der Freienvertretung am 2. Juni 2021

Vier Wochen nach den Protesten „Frei im Mai“ und drei Wochen vor den Sondierungsgesprächen über einen Bestandsschutz hat die Freienvertretung am 2.6. drei Experten eingeladen, um die Fragen von 90 Teilnehmenden zu beantworten.

Stefan Tiyavorabun (freier Personalrat beim SWR) stellte den SWR-Bestandsschutz-Tarifvertrag vor und berichtete, mit welchen Mitteln die Freien beim SWR den Sender zum Abschluss bewegen konnten.

André Gählert (Justiziar des DJV Berlin) plädierte für eine tarifvertragliche Lösung und für ein abgestimmtes Vorgehen – statt individueller Statusklagen sei ein koordiniertes Vorgehen der Betroffenen sinnvoll.

Jonas Fischer (Team Beratung und Recht, verdi) stellte erfolgreiche Klagen programmgestaltender Freier vor und beschrieb den Weg, wie Gewerkschaftsmitglieder eine Statusklage auf den Weg bringen können.

Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengefasst:

Schützt der Bestandsschutz-Tarifvertrag die festen Freien beim SWR vor Beendigungen wie zuletzt bei zibb bzw. rbbKultur?

De facto schon, rechtlich ist eine Beendigung aber auch beim SWR möglich. Wer beim SWR Bestandsschutz hat, wird in dem Umfang und mit den Einkünften weiterbeschäftigt, die im Referenzjahr 2017 der individuelle Bestand waren („Geldgarantie“). Dazu kommen regelmäßig Stufensteigerungen wie bei Festen sowie Tariferhöhungen. Nur nach Prüfung jedes Einzelfalls sind Beendigungen möglich – schnell mal 78 Leuten eine Kündigung schicken, ist beim SWR undenkbar. Wenn es eine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung gibt, geht diese vor.

Gewisse Einschränkungen oder Honorar-Schwankungen wie beim rbb (20 bzw. 25 Prozent) muss man wahrscheinlich hinnehmen, oder?

Nein, das Honorar ist festgelegt und wird als Tagessatz oder auch per Monatspauschale abgerechnet. Schwankungen ergeben sich, wenn Freie die angebotenen Tage ablehnen und weniger arbeiten – dann gibt es auch weniger Geld. Im nächsten Jahr gilt dann die Garantie wieder. Umgekehrt kann jede*r auch bei Bedarf jederzeit mehr arbeiten („bis zum Umfallen“) und entsprechend mehr verdienen.

Wenn alles festgelegt ist – wie flexibel ist der Sender dann noch bei kurzfristigen Themen oder Großprojekten?

Alles eine Sache der Personalplanung: Überstunden oder zusätzliche Tage sind auch im Bestandsschutz immer noch möglich. Insbesondere bei festen Freien, die weniger als 100 Prozent arbeiten, kann die Arbeitsverteilung übers Jahr schwanken, solange bis Ende des Jahres die „Garantie“ erfüllt wird. Außerdem gibt es den „Kreis der Geringverdiener“, die keinen 12a-Status haben und darum nicht unter der Tarifvertrag fallen.

Oh. Wonach entscheidet sich, ob man Bestandsschutz bekommt?

Alle 12a-Freien im SWR bekommen eine Einkommensgarantie. Allerdings gibt es in den ersten zwei Jahren (nicht programmgestaltend) bzw. ersten sechs Jahren (programmgestaltend) der Tätigkeit Befristungen mit einer eingeschränkten Garantie. In den allermeisten Fällen werden die Kolleg*innen entfristet. Wer nicht bleiben darf, muss eine Abfindung bekommen – das sorgt dafür, dass der Sender niemand leichtfertig beendet. In den ersten beiden Jahren des neuen Tarifvertrages ist das tatsächlich kaum vorgekommen.

Klingt toll – wie haben die beim SWR das hinbekommen?

Mit viel Geduld, einer Kampagne („Keine Mitarbeitende zweiter Klasse“), dem Schulterschluss der Gewerkschaften, der Unterstützung der Festen und des Personalrats. Letztlich auch, weil auch der Sender eine einvernehmliche Lösung wollte.

Beim rbb-Bestandschutz für NPG-Freie hat Prüfung von Statusklagen eine wichtige Rolle gespielt. Beim SWR auch?

Das hat es. Insbesondere die Erfolgsaussichten für Klagen von NPG-Freien sind ja vergleichsweise günstig. Bei Programmgestaltenden sind die Ausgangsbedingungen sehr unterschiedlich und müssen jeweils im Einzelfall betrachtet werden.

Ich dachte immer, Programmgestaltende haben überhaupt keine Chance, eine Statusklage zu gewinnen?

Doch, das ist absolut möglich! Dafür gibt es immer wieder Beispiele, auch beim rbb. Aber, siehe oben, zu den Erfolgsaussichten kann man nur im Einzelfall etwas Sinnvolles sagen, darum ist eine genaue Prüfung durch eine*n Arbeitsrechtler*in so wichtig. Das Bundesverfassungsgericht hat 1982 nämlich eine sehr hohe Hürde für PG-Freie aufgestellt: Die Arbeitsgerichte müssen in jedem Einzelfall eine Abwägung zwischen dem Abwechslungsbedürfnis des Senders und dem Anspruch auf einen Arbeitsvertrag treffen.

Das heißt konkret?

Bei Redakteur*innen, die den Content von anderen weiterverarbeiten, ist das Abwechslungsbedürfnis zum Beispiel weniger groß als bei Kommentator*innen oder Comedians. Und wer seit 20 Jahren dieselbe Aufgabe ausübt, steht anders da als jemand, der alle paar Monate ganz neue Projekte übernimmt. Es kommt aber ganz …

… auf den Einzelfall an, verstanden. Was meinen Fall angeht, hört sich das aufwändig an, ich habe ja in den 90ern noch beim ORB / SFB angefangen und war dann Jahre lang ganz woanders / hatte eine befristete Stelle / Kinder bekommen / nebenbei eine halbe Stelle außerhalb / erst Techniker, dann VJ, lange habe ich auch moderiert / eine kleine Firma gehabt und auf Rechnung gearbeitet …

Ja, das kann mühsam sein. Und lange dauert es auch, denn bis zur Entscheidung vergehen gerne mal ein, zwei Jahre (der rbb geht fast immer in die zweite Instanz). Auch darum spricht so viel für einen Bestandsschutz-Tarifvertrag. Wir alle würden uns viel Zeit und Unruhe ersparen – genauso wie der rbb sich auch. Denn selbst wenn viele vor Gericht keine Chance haben, bleiben immer noch Hunderte, die durchkommen werden. So viele Stellen wird der rbb nicht riskieren.

Sorry, ich verstehe das mit der Statusklage nicht wirklich. Ich habe doch gerade ein Statusprüfung bei der Rentenversicherung hinter mir, zahle Lohnsteuer und bin seit Jahren arbeitnehmerähnlich. Reicht das nicht?

 Leider nicht. Das Arbeitsrecht und der Arbeitsvertrag (=Statusklage, sich auf eine feste Stelle einklagen) haben leider nur ganz wenig mit dem Sozialrecht zu tun (abhängige vs. selbständige Beschäftigung, „brutto=netto“, KSK), dem Steuerrecht (Lohnsteuer vs. Einnahme-Überschuss-Rechnung) oder dem Tarifrecht (Arbeitnehmerähnlichkeit). Wirklich: Ohne anwaltliche Beratung geht gar nichts.

Wie kann ich mir die verschaffen?

 Gewerkschaftsmitglieder bekommen Rechtsberatung direkt durch ihre Gewerkschaft. Dies ist in der Regel der beste Weg, schon weil arbeitsrechtliche Situation im Rundfunk so speziell ist, dass nur wenige „normale“ Arbeitsrechtler*innen damit Erfahrung haben.

Ich bin aber in gar keiner Gewerkschaft …

Das lässt sich ja leicht ändern … Wer eine Rechtsschutzversicherung hat, kann natürlich auch diese einschalten. Bei der Suche nach einer geeigneten Anwältin oder einem Anwalt hilft gerne die Freienvertretung.

Ich habe mich schon mit meinen Kolleg*innen besprochen. Wir wollen uns gerne beraten lassen und arbeiten alle ähnlich. Gibt es auch eine Gruppenberatung?

 Das ist eine gute Idee. Das hilft den Gewerkschafts-Jurist*innen, die Fälle  abzuschichten.

Und ohne Gewerkschaft?

Meldet euch gerne erstmal bei der Freienvertretung. Die darf zwar ausdrücklich keine Rechtsberatung anbieten, aber eine kollegiale Einschätzung und Tipps für die nächsten Schritte gibt es natürlich immer.

Kontakt:

Verdi: Beratung und Recht (service.bb@verdi.de)
DJV: Rechtsschutz (info@djv-berlin.de)