„Völlige Unkenntnis der realen Arbeitsbedingungen“

Ein Interview mit VJ-Sprecher Jan Wiese

Jan Wiese, der seit vielen Jahren für unterschiedliche Redaktionen des rbb als Videojournalist arbeitet, hat an der Gefährdungsbeurteilung (kurz GBU) für Videojournalisten teilgenommen. Die ist im letzten Jahr von der Fa. Caro durchgeführt worden. Arbeitspsychologen haben Arbeitsbedingungen, Workflow und psychische Belastungen der VJ unter die Lupe genommen. GBUs sind übrigens gesetzlich vorgeschrieben. Sie liefern Erkenntnisse darüber, ob Arbeitsbedingungen angemessen sind. Gibt es Kritik oder Klagen von Mitarbeiter_innen,  ist der Arbeitgeber angewiesen, geeignete Maßnahmen zur Verbesserung einzuleiten.
Die Freienvertretung hat mit Jan Wiese über seine Erfahrungen als „GBU-Forschungsobjekt“ gesprochen und wollte seine Einschätzung zu den Ergebnissen der GBU erfahren. Hier seine Antworten.

Frage: Was waren die wichtigsten Ergebnisse der GBU?

Antwort: Nach meiner Einschätzung sind die ungleichen Honorare der VJs ein großes Problem. Das hat die GBU auch ergeben. Die Redaktionen zahlen – bis auf wenige Ausnahmen – keine einheitlichen Sätze. Man muss als VJ immer verhandeln und das halte ich für hoch problematisch. Es wäre besser, wenn ganz klar geregelt wäre: dieses Honorar bekomme ich für meine Arbeit! Es kommt noch erschwerend hinzu, dass die VJs sich untereinander nur sehr wenig austauschen – auch nicht über ihre Honorare. Das liegt auch darin, dass wir VJs so zerstreut im Sender sind und jeder für sich arbeitet. Man läuft sich selten über den Weg, es gibt kaum informelle Kommunikation. Und der Austausch per Mail funktioniert zwischen den 80 – 120 VJs eher lose.

Abgesehen von der ungleichen Bezahlung erfahren VJs oft wenig Wertschätzung für ihre Arbeit. Das fängt bei der technischen Ausstattung an, geht über die alltägliche Kommunikation im Sender, bis hin zu den Redaktionen. Viele Redakteure können sich nicht vorstellen, was es bedeutet, mehrere Gewerke gleichzeitig zu bedienen: zu drehen, Ton zu machen, ein Interview zu führen, das Licht zu korrigieren usw., welchen Druck das manchmal macht. Da wurde in der Vergangenheit vielleicht auch etwas viel versprochen, nach dem Motto: die Technik ist so klein, das kann heute ein Mensch allein ganz leicht machen, wofür früher drei nötig waren. Man kann heute wirklich viel machen. Aber gute Ergebnisse erfordern eine gute Ausbildung und passende Rahmenbedingungen, und hier hapert es im Sender zuweilen. Was die Ausstattung angeht: manchmal wird Technik angeschafft, die nicht gut funktioniert. Mit den alltäglichen Problemen, die daraus folgen, stehen die VJs dann allein da.

Überdeutlich wird die mangelnde Wertschätzung im aktuellen Vorschlag des Senders für einen neuen Honorarrahmen fürs Programm. Denn dieser Vorschlag offenbart vor allem eines: eine völlige Unkenntnis der realen Arbeitsbedingungen von Videojournalisten. Dem Vorschlag zur Folge sollen VJs lediglich 20% mehr Honorar bekommen als ein Autor*, der nicht selbst dreht und schneidet. Für die gleiche Beitragslänge. Schon rein zeitlich funktioniert das nicht, ein VJ kann nunmal nicht gleichzeitig schneiden und texten. Oder ein Vorgespräch am Drehort führen und die Kamera aufbauen. Das geht nur nacheinander, mit entsprechendem Zeitaufwand, und der liegt in der Summe eher höher als 20%. Noch dazu kommt, dass offenbar die breiter gefächerten Fähigkeiten des VJ und die höhere Arbeitsdichte gar nicht berücksichtigt werden. Wir empfinden das als skandalöse Missachtung unserer Arbeit.

Zur praktischen Arbeit: VJs verfügen beim Dreh, im Gegensatz zu EB-Teams keine Ausnahmegenehmigung zum Parken. Für uns VJs bedeutet es zusätzlichen Stress, unter Zeitdruck einen regulären Parkplatz zu finden. Ist einer gefunden, liegt der womöglich etliche Straßen vom Drehort entfernt. VJs müssen ihr komplettes Equipment (Kamera, Stativ, Ton, Licht) alleine tragen, was oft eine ziemliche Schlepperei ist. Eine Ausnahmegenehmigung zum Parken wäre eine ziemliche Erleichterung. Doch mit dieser Idee sind wir bislang auf taube Ohren gestoßen.

Hinzu kommt, dass die VJ-Technik oft in schlechtem Zustand ist. Sie wird im Kameralager nicht aufbereitet. Dafür ist gar kein Kollege vorgesehen. Das ist übrigens in guten Produktionsfirmen anders, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Da bekommt man das Equipment drehfertig. Im rbb müssen die VJs die technische Kontrolle selbst erledigen – vorher und nachher. Das ist im Honorar mit drin. Für die Vorbereitung sind 45 Minuten nötig, alles durchzuchecken. Sonst erlebt man am Drehort böse Überraschungen. Beispielsweise fehlt vor Ort die Kameraplatte und man kann die Kamera nicht auf dem Stativ befestigen. Oder es sind keine Akkus bei der Ausrüstung. Alles schon passiert.

Wir kriegen das als VJs alles hin. Aber in den Redaktionen fehlt das Verständnis dafür, dass VJs auch Zeit für die Vorbereitung brauchen, und dass diese Zeit auch honoriert werden muss.

Frage: Wie beurteilst du die Maßnahmenvorschläge?

Antwort: Die Vorschläge gehen auf jeden Fall in die richtige Richtung. Eindeutige und verbindliche Honorare sind genau das, was fehlt. An der Umsetzung der Maßnahmen sollte schnellst möglich gearbeitet werden. Dabei muss vor allem über die Höhe des Honorars gesprochen werden. Die  wird von den meisten VJs als nicht ausreichend und zu niedrig empfunden.

Frage: Was muss sich jetzt ändern? Wie sollten die nächsten Schritte aussehen?

Antwort: Als erstes muss über die Honorare gesprochen werden. Das ist vordringlich! Dann muss es zu klaren Vereinbarungen über Arbeitszeiten kommen. Da herrschen im Haus auch ganz unterschiedliche Meinungen vor. Bei Brandenburg Aktuell – um ein Beispiel zu nennen – geht die Redaktion von einer 10stündigen Arbeitszeit der VJs aus.

Dann muss es bald zu praktischen Verbesserungen kommen. Die VJs brauchen eine KFZ-Sondererlaubnis zum Parken. Außerdem ist dringend mehr Ordnung im Kameralager nötig. Es muss dort endlich jemand eingesetzt werden, der sich um die Wartung und Instandhaltung der VJ-Technik kümmert. Wichtig ist auch, dass der Workflow im VPMS für VJs praktikabler wird. Das ist momentan noch recht umständlich. VJ-Produktionen wurden nicht mitgedacht. Das wird jetzt nachgeholt. Mit dem Ergebnis, dass es nun viel schwieriger geworden ist, Archiv-Material auf den Laptop zu bekommen. Das Ausspielen in VPMS ist vom Laptop aus auch sehr schwierig, da technisch und zeitlich sehr aufwändig. Und zu guter Letzt gibt es bislang immer noch keine vernünftigen VJ-Arbeitsplätze. Die Einrichtung einer VJ-Lounge mit drei Plätzen zum Einspielen und Schneiden ist eine gute Idee, sollte allerdings auch zeitnah umgesetzt werden.

Frage: Wie war es, Untersuchungsgegenstand einer GBU zu sein?

Antwort: Ich fand es total gut wie die GBU durchgeführt wurde. Es hat mich nicht gestört. Im Gegenteil: jemand guckt mal genau hin. Über das eigene Erzählen bekommt man erst einmal einen Überblick über den Umfang der eigenen Arbeit. Das war ein guter Blick von außen. Und durch die gezielten Fragen habe ich mir bestimmte Arbeitszusammenhänge erst bewusst gemacht.

Frage: Waren die Arbeitspsychologen hilfreich?

Antwort: Die waren absolut hilfreich. Die Arbeitspsychologen haben viel Erfahrung, die sind dafür ausgebildet, die richtigen Fragen zu stellen, war mein Eindruck. Und die Interpretationen der Antworten kann meiner Meinung nach nur ein Mensch leisten. Ich hätte keine Lust, Formulare über den Computer auszufüllen. Gerade, dass mir ein Mensch gegenüber saß, fand ich sehr gut.

Frage: Welche Probleme sind in der GBU nicht behandelt worden?

Antwort: Was fehlt,  ist die Untersuchung, wenn Vjs als Co-Autoren fungieren, also wenn ein drehender Autor (der VJ) mit einem nicht drehenden unterwegs ist. So haben wir bereits mehrere Filme und Magazinbeiträge produziert. Das ist eine ganz spezifische Arbeitssituation. Die ist erstmal gut, weil man sich die inhaltliche Arbeit mit der/m Reporter_in teilt. Und jemand hilft beim Tragen und Parken. Das hilft. Schwierig wird es dann, wenn inhaltliche Probleme oder Differenzen auftreten. Aber das ist ja bei jeder Co-Autorenschaft der Fall.

Frage: VJs werden gerne zu „unchristlichen“ Zeiten eingesetzt. Ist das ein Problem?

Antwort: Das muss jeder für sich entscheiden. Man kann es machen, wenn man mit sich selbst im Reinen ist. Klar ist nur, dass es dann auch entsprechend honoriert werden muss. Außerdem müssen die konkreten Einsatz- und Drehbedingungen klar definiert sein. Das gilt auch für die Einschätzung von gefährlichen Situationen oder extrem langen Drehzeiten. Dann muss geklärt sein, bis wann darf ein VJ was alleine machen?

*  Der rbb legt Wert auf die Klarstellung, dass in Fällen, bei denen der VJ sowohl dreht als auch schneidet, jeweils 20 Prozent fällig werden sollen, zusammen genommen also 40 Prozent.  „Beauftragt der rbb die Auftragnehmerin bzw. den Auftragnehmer mit zusätzlichen VJ-Leistungen im Zusammenhang mit dem Beitrag (z.B. Kamera, Editing), so erhöhen sich die in den Ziffern 4.1.1-4.1.8 genannten Honorare jeweils um 20 %.“